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[ox-en] Berlecon Commentary on OSS



[1  <text/plain; utf-8 (quoted-printable)>]
Text in German, sorry, sz

<http://www.berlecon.de/newsletter/ba/2004_08_25.html>

Mit wenigen Aspekten lassen sich in der politischen Diskussion über Technologien so viele Punkte machen wie mit ihren Wachstums- und Arbeitsplatzeffekten. Und wer kann dazu besser etwas sagen als Volkswirte? So sollte man jedenfalls meinen.

Folgerichtig hat Microsoft Ende des vergangenen Jahres eine Studie an der Universität Münster in Auftrag gegeben, um die volkswirtschaftliche Bedeutung von Open Source Software (OSS) zu bewerten. Ergebnis: OSS weist geringere Wertschöpfungspotenziale als rein kommerzielle Software auf. Außerdem geht die Entwicklung oft an den Bedürfnissen der Konsumenten vorbei, weil Preise als marktwirtschaftliche Orientierungshilfen fehlen. Gesamtbewertung: tendenziell negativ.

Vor kurzem ist nun ein Arbeitspapier an der Universität Jena zum gleichen Thema erschienen, dass sich explizit als Kritik an der Münsteraner Studie versteht. Ergebnis: Entwickler von OSS tragen zum Aufbau eines Kapitalstocks von Wissen bei, von dem alle profitieren können. Außerdem erhöht OSS die Wettbewerbsintensität auf dem Softwaremarkt, wovon alle Nutzer durch niedrigere Preise und günstigere Qualität profitieren. Gesamtbewertung: tendenziell positiv.

Typisch, die Volkswirte geben wieder mal keine klare Antwort, ist man versucht zu sagen. Kein Wunder, denkt so mancher, sollte der Disziplin in England doch schon Ende des 19. Jahrhunderts der Status einer Wissenschaft aberkannt werden. Aber so weit muss man dann doch nicht gehen, denn beide Analysen haben ihren Anteil an guten Argumenten, genauso wie ihren Anteil an inhaltlichen Mängeln.

So ist die - traditionell gemessene - Wertschöpfung von OSS natürlich niedriger als die von rein kommerzieller Software, wie die Münsteraner Studie behauptet. Aber das ist ein konzeptionelles Problem der Wertschöpfungsstatistik, wie jeder VWL-Student lernt. Denn in die Statistik geht nur die Wertschöpfung ein, die über den Markt gehandelt und deshalb statistisch erfasst wird. Der für Kinder und Küche zuständige Hausmann z.B. wird normalerweise nicht erfasst, aber die Wertschöpfung der Volkswirtschaft steigt plötzlich, wenn ihn seine Partnerin mit einem 400EUR-Job anstellt. 

Auch die Arbeit der freiwilligen OSS-Programmierer taucht nicht in der Statistik auf. Trotzdem ist am Ende der Wert in Form der Software geschaffen. Ein Vergleich der Wertschöpfungen muss deshalb auch diese Bereiche mit einbeziehen und ihre Bedeutung abschätzen - so schwierig das im Einzelfall sein mag.

Auch das Argument fehlender Nutzerorientierung der OSS-Programmierer in der Münsteraner Studie muss man relativieren. Zwar sind viele OSS-Projekte in der Bedienbarkeit für unbedarfte Endnutzer sicher nicht vergleichbar mit rein kommerziell entwickelter Software. Aber die Zielgruppe vieler dieser Projekte sind eben nicht die Endnutzer, sondern technisch versierte Systemadministratoren oder aber Softwareunternehmen, die diese Open-Source-Komponenten in ihre Produkte und Lösungen integrieren können. Apples Betriebssystem MacOS X basiert z.B. zu großen Teilen auf Open Source Software - trotzdem gilt die Software als nutzerfreundlich.

Außerdem sorgen Unternehmen wie Red Hat, IBM, Sun oder Novell, die am OSS-Entwicklungsprozess mit eigenen Mitarbeitern mitwirken, für eine Orientierung der entsprechenden OSS-Projekte an den Bedürfnissen des Marktes. Und schließlich stellen auch die Zahl der Downloads der eigenen OSS-Programme oder Kommentare der Nutzer Signale für die Entwickler dar, die ihnen helfen, die Bedürfnisse ihrer Nutzer besser zu erkennen. Wer schreibt schon gerne dauerhaft Software, die niemand nutzen will. 

Die Jenaer Ökonomen betonen besonders den Kapitalstock von Wissen, der in Open-Source-Projekten entsteht. Denn durch den offenen Quellcode kann jeder sehen, wie ein Programmierer Probleme gelöst hat und kann, so die Theorie, die eigenen Probleme auf ähnliche Weise lösen. Aber auch hier ist in der Praxis unklar, wie bedeutend dieser Effekt wirklich ist, und ob nicht an Personen gebundenes Humankapital wichtiger ist. Denn aus dem Quellcode alleine weiß man noch nicht, warum diese und nicht eine andere Lösung gewählt wurde - dieses Wissen besitzt nur der Programmierer selbst. Und derartiges Wissen, eben das Handwerk des guten Programmierens, kann in OSS-Projekten ebenso wie bei der Erstellung proprietärer Software gelernt werden. Auch proprietäre Softwareanbieter tragen deshalb zum Aufbau von softwarespezifischem Humankapital bei.

Beide Analysen enthalten noch eine ganze Reihe weiterer Argumente für positive oder negative Auswirkungen von OSS auf die Volkswirtschaft. Dabei ist die letztendliche Entscheidung darüber, ob ein Argument richtig oder falsch ist, meistens eine empirische Frage. Ihre Beantwortung setzt deshalb eine genaue Kenntnis der Softwarebranche und der Open-Source-Landschaft voraus - beide Analysen zeigen hier Verbesserungspotenzial.

Die Frage nach den volkswirtschaftlichen Effekten von Open Source Software gibt Ökonomen deshalb nicht nur die Gelegenheit, ihre liebste Antwort anzubringen - "Kommt darauf an, kann man nicht eindeutig beantworten" - sondern auch ihre zweitliebste: "Hier besteht weiterer Forschungsbedarf".
[2  <text/html; utf-8 (quoted-printable)>]


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