Stefan Meretz, Uli Weiss * Freie Software im Empire (was: [ox-en] Conference documentation)
- From: Stefan Merten <smerten oekonux.de>
- Date: Fri, 04 Apr 2003 19:45:21 +0200
Freie Software im Empire
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Stefan Meretz [stefan meretz.de], Uli Weiß
[uli weiss-und-freunde.de]
Im folgenden sind die Folien von Stefan Meretz und Uli Weiß
dokumentiert, die zu diesem Workshop vorbereitet wurden. Weitere
Beiträge zum Workship waren von Benni Bärmann und Willi Hajek
vorbereitet worden.
Stefan Meretz: Zum "Empire" von Michael Hardt und Toni Negri -- Eine Einführung anhand der wichtigsten Begriffe
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Empire
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o neue Form der Souveränität
o = neue Logik und Struktur der Herrschaft
o früher: nationalstaatliche Souveränität
o heute: imperiale Souveränität
o Leitfragen:
o Wie konstituiert sich das Empire?
o Welche Gegenkräfte gibt es im Empire?
o Hardt/Negri:
o "Die Menge rief das Empire ins Leben"
Multitude (Menge)
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o Begehren
o Seinsbestimmung des Menschen
o Grundlage der individuellen Produktivität
o "Die Menge ist..."
o "eine Vielfalt, ein Feld von Singularitäten,"
o "ein offenes Beziehungsgeflecht, das nicht homogen oder mit
sich selbst identisch ist,"
o "sondern ein indistinktes, einschließendes Verhältnis zu
denen, die außerhalb stehen, besitzt."
o Gegensatz
o Volk, Masse, Klasse
Biomacht - Biopolitik
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o Begriff von Foucault
o Übergang Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft
o Disziplinargesellschaft: "statische Fremdkontrolle"
o Etablierung disziplinärer "Vernunft" durch Institutionen
o wie Gefängnis, Fabrik, Heim, Klinik, Uni, Schule
o Kontrollgesellschaft: "generative Selbstkontrolle"
o Herrschaftsmechanismen sind "demokratisiert" und
internalisiert
o Kontrolle der Köpfe und Organisation der Körper
o produziert einen Zustand autonomer Entfremdung
o "Biomacht"
o "ist eine Form, die das soziale Leben von innen heraus
Regeln unterwirft, es verfolgt, interpretiert, absorbiert
und schließlich neu artikuliert."
Formelle und reelle Subsumtion
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o ...der Arbeit: Begriff von Marx
o formell: äußerliche Unterordnung der Arbeit unter das
Kapital
o reell: Einschluss der Arbeit in den kapitalistischen Prozess
o ...des sozialen Bios: Begriff von Hardt/Negri
o formell: Disziplinargesellschaft
o reell: Kontrollgesellschaft
o Hardt/Negri nennen
o den Übergang von der formellen zur reellen Subsumtion auch
o Übergang vom vermittelten zum unmittelbaren Verhältnis
zwischen Macht und Subjektivitäten
o Hardt/Negri sehen
o neben der repressiven auch eine produktive Dimension von
Biomacht (biopolitische Produktion)
Immanenz - Transzendenz
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o duales Begriffspaar
o immanent = diesseitig, innewohnend, unmittelbar
o transzendent = jenseitig, überschreitend, vermittelnd
o Entdeckung im Spätmittelalter
o Sein nicht bestimmt von fremder transzendenter Macht
o sondern von eigener immanenter Handlungsmacht
o Hardt/Negri:
o "Die europäische Moderne nahm ihren Anfang, als die
Menschheit ihre Macht in der Welt entdeckte und diese neue
Würde des Menschen zu einem neuen Bewusstsein von Vernunft
und Möglichkeit führte."
Zwei Spielarten der Moderne
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o Macht der Revolution
o Immanenz Paradigma für Welt und Leben
o das Begehren der Menschen steht im Mittelpunkt
o Kraft der Ordnung
o Kontrolle der Revolution durch Etablierung von Ordnung
o transzendente konstituierte Macht gegen immanente
konstituierende Macht
o Krise der Moderne
o "Konflikt zwischen den immanenten, konstruktiven und
schöpferischen Kräften..."
o "und der transzendenten Macht, welche die Ordnung
wiederherstellen will"
Souveränitätsmaschine
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o Repräsentation
o Übertragung der autonomen Macht auf eine souveräne Macht
o Entfremdung der repräsentierenden Macht von der Menge
o => Konstitution der Transzendenz des Souveräns (Staat)
o Synthese von Souveränität (Staat) und Kapital
o produziert die Gesellschaft
o konstituiert die "geordnete Totalität" der Menge
o ist die "Geburtsstunde der Biomacht"
Informationelle Ökonomie
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o Drei Paradigmen der Ökonomie
o Landwirtschaft: Gewinnung von Rohstoffen
o Industrie: Herstellung haltbarer Güter
o Postindustrie: Dienstleistungen und Informationen
o Immaterielle Arbeit
o Arbeit, die Dienstleistungen, Kultur, Wissen oder
Kommunikation produziert
o Kooperation ist der Arbeitstätigkeit immanent
o Drei Typen
o Informatisierung der industriellen Produktion: materielle
Realisierung ist Anhang der immateriellen Steuerung
o Analytische Tätigkeiten und Manipulation von Symbolen
o Produktion und Handhabung von Affekten
o "Selbstverwertung" (Oekonux: Selbstentfaltung)
o "Heute haben Produktivität, Reichtum und das Schaffen eines
gesellschaftlichen Surplus die Form der kooperativen
Interaktion angenommen, die sich sprachlicher,
kommunikativer und affektiver Netzwerke bedient. Indem sie
ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die
immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen
und elementaren Kommunismus bereit."
o Privateigentum
o begriffliche Krise: es gibt immer weniger exklusiv zu
besitzen
o rechtliche Universalisierung: Eigentum wird zu einem "immer
stärker abstrakten und transzendentalen Begriff"
o "Rousseau merkte an, dass die erste Person, die ein Stück
Natur als ihr eigenes und ausschließliches Besitztum
beanspruchte und ihm die transzendente Form des
Privateigentums gab, das Böse erfand. Gut hingegen ist das,
was gemeinsam ist."
Die Pyramide
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o Spitze der Pyramide: "Monarchie" (=>Bombe)
o die eine Supermacht: USA
o weitere führende Industriestaaten: G7 usw.
o Vereinigungen militärischer/monetäre Führung: IWF, NATO...
o Zweite Stufe: "Aristokratie" (=>Geld)
o Netzwerke aus Kapitalströmen, Technologieströmen,
Migrationsströmen
o souveräne Nationalstaaten: lokale, territorialisierte
Organisationen
o Fuß der Pyramide: "Demokratie" (=>Äther)
o Nationalstaaten, die die Menge in ein Volk verwandeln
o Agenturen der globalen Zivilgesellschaft: Medien,
Religionsgemeinschaften
o Populäre Organisationen der Zivilgesellschaft: NGOs
Generation und Korruption
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o Generation = Erzeugung
o "Von Begehren getragene Produktion ist Generation oder
vielmehr der Exzess von Arbeit und die Akkumulation einer
Macht, welche als deren Ursache und deren Erfüllung in die
kollektive Bewegung singulärer Wesen einbezogen wird. (394)"
o Korruption = Negation der Generation
o Eckpfeiler und Schlüsselelement von Herrschaft
o "die machtvolle Leere der Indifferenz"
o Beispiele von Korruption
o individuelle Wahl (??)
o Ausbeutung und Privatisierung von Öffentlichem
o Pervertierung der sprachlichen Kommunikation
o Terrordrohungen als Regierungspraxis
Die drei Rechte
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o Das Recht auf eine Weltbürgerschaft
o Selbstkontrolle der Bewegungen der Menge
o Das Recht auf einen sozialen Lohn
o Biopolitische Produktion der Menge ist allgemein
o =>garantiertes Einkommen für alle (Bürgereinkommen)
o Das Recht auf Wiederaneignung
o Freier Zugang zu und Kontrolle über Wissen, Information,
Kommunikation und Affekte: Wiederaneignung der
Produktionsmittel
Uli Weiß: Neue Gesellschaft denken
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Gedanken aus Empire
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o Empire konfrontiert Individuen "nicht mehr mit lokalen
Vermittlungen eines Universellen ..., sondern mit einem konkreten
Universellen" 35
o alle sozialen Kämpfe, "in lokalen Verhältnissen fest verankert
[springen] ... sofort auf die globale Ebene und greifen die
Konstitution des Empire ganz allgemein an" 69
o Unterscheidungen zwischen ökonomischem und politischem Kampf
aufgehoben
o "Einsatz ist die Lebensform" 69, die direkte Konstitution neuer
Formen von Gemeinschaften
UW: Absorption des (wertrelevanten) Lebens durch individuelle
(Selbst-)Kontrolle drängt jede unmittelbare Lebensregung zur
Begründung einer solchen Praxis, die eine Keimform der Aufhebung von
Wertvergesellschaftung ist = Revolution
neue Gesellschaft durch Klassenkämpfe?
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o Klassenkämpfe: Individuen nehmen als Klassenindividuen an
Konstitution/Entwicklung von Gesellschaften teil
o kapitalistischer Werkalltag bestimmt Interessen, Möglichkeiten
und Kampfformen ihrer Durchsetzung ebenso deren Begrenztheit auf
innerkapitalistische Entwicklungen
o geschichtsmächtige Kampfstrukturen der Arbeiterbewegung =
Spiegelbilder kapitalistischer Produktionsweise, kein darüber
hinausgehendes Moment
o Klassenkämpfen können zu partieller Emanzipation führen, nicht in
klassenlose Gesellschaften
o Real-"Sozialismus": Gesellschaften als durchorganisierte Konzerne
entworfen (Lenin, Dt. Post, dt. Kriegswirtschaft) = Herrschaft
der (Politischen) Ökonomie über die Gesellschaft nicht umgekehrt
die Praxis freier Software
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o nichtwarenförmige Herstellung nützlicher Produkte zur freien
Verfügung
o weiter Begriff: eine Lebensform (Benni Bärmann)
o UW: als Lebensform eine Keimform einer neuen Gesellschaft - für
den alten ML unbegreifbar (Marx vs. Marx)
o Revolutionstheorie ist "unwiderruflich überholt; [stattdessen]
... Strategie einer konstituierenden Gegenmacht, die aus dem
Innern des Empire kommt" 72
Charakteristika einer Ökonomie des Schenkens und Nehmens
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o das für die das entscheidende menschliche Bedürfnis des
Produzenten ist auf die Tätigkeit selbst gerichtet, nicht auf
einen Lohn bzw. fremden Zweck
o das Produkt steht anderen Menschen frei zur Verfügung, dessen
Aneignung durch den Nutzer zwingt diesen nicht zur Lohnarbeit
o Produzenten und Konsumenten sind durch keine äußeren Zwecke
getrennt
o Produzenten und Konsumenten treten sich als Menschen gegenüber
o nur eine solche Ökonomie kann die materielle Grundlage
allgemeinmenschlicher Emanzipation sein
Ökonomie des Schenkens und Nehmens als untergeordnete menschliche Basis der Gesellschaft
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o durch alle Formationen hindurch: relativ autonome
Familienstrukturen sichern Reproduktion menschlichen Lebens
o eingebunden in die jeweiligen Gesellschaften sind diese immer
deren Charakter unterworfen
o zugleich: Akteure treten sich als Menschen und nicht als
ökonomische Charaktermasken (Unternehmer - Lohnarbeiter)
gegenüber = ihre Binnenstruktur ist durch eine Ökonomie des
Schenkens und Nehmens bestimmt
o diese Strukturen und Ökonomien waren immer gesellschaftliche
Existenzvoraussetzungen, konnten aber in ihrer menschlichen
Substanz nie gesellschaftsbestimmend werden (Wiedertäufer,
Hutterer usw. scheiterten oder existieren in antimoderner bzw.
antibürgerlicher Abgeschlossenheit und Askese weiter;
Klassenspaltungen und -kämpfe blieben Triebkräfte
zivilisatorischer Entwicklung)
o die Bedürfnisse der unmittelbaren menschlichen Reproduktion und
die gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen und Formen ihrer
Befriedigung lagen bisher in einem unaufhebbaren Konflikt, der
nur auf barbarische Weise vermittelbar war
Ökonomie des Schenkens und Nehmens als potentiell geschichtsmächtige Kraft
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o Produktion und Lebensform freier Software erfüllt o.g. Kriterien
einer Ökonomie des Schenkens und Nehmens
o eine solche Ökonomie kann nur geschichtsmächtig werden, wenn sie
(ohne Preisgabe zivilisatorischer Errungenschaften) die
materiellen Voraussetzungen menschlichen Lebens zu sichern vermag
o einige Voraussetzungen für eine Verallgemeinerbarkeit dieser
Lebens- und Tätigkeitsform:
1. tayloristisch-fordistische Strukturen ist aufgelöst oder
auflösbar
2. dramatische Änderungen im Charakter der Arbeit (allgemeine,
schöpferische, virtuelle Arbeit wird bestimmend)
3. gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit reduziert sich drastisch
= gesellschaftlicher Reichtum ist nicht mehr Funktion der
verausgabten Arbeitszeit, sondern der Entfaltung von
Individualität der unmittelbaren Produzenten und deren Fähigkeit
zu selbständiger sozialer Kooperation
4. Wertproduktion verliert ihre zivilisatorische Potenz; ein
Menschheitstraum wird realisierbar: reiche Bedürfnisbefriedigung
bedarf nicht mehr der knechtenden Formen einer das ganze Leben
ausfüllenden (Lohn-)Arbeit
5. die alte bürgerlich-proletarische Arbeitsmoral zerfällt
noch marginal aber doch verbreitet drängen Menschen nach neuen
Lebensformen
o Problem: diese Voraussetzungen einer neuen Gesellschaftlichkeit
werden immer wieder der Verwertung unterworfen
o Resultat: statt Befreiung findet eine weitere Absorption des
(wertrelevanten) Lebens durch individuelle (Selbst-)Kontrolle
statt
o Individuen durchbrechen massenhaft ihre der (Selbst-)Unterwerfung
unter die Wertvergesellschaftung erst dann zugunsten
selbstbestimmten Lebens, wenn sie in letzterem ihre materielle
Existenz gesichert sehen
Der "Einsatz ist die Lebensform"
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o Akteure der freien Software und Nutzer ihrer Produkte stehen im
Konflikt zwischen möglicher allgemeinmenschlicher Emanzipation
und tatsächlicher kapitalistischer Vergesellschaftung
o den partiell von knechtender Lohnarbeit befreiten Nutzern
erwachsen zusätzliche Möglichkeiten zu eigenen freien produktiven
Selbstbestätigung, zur Teilhabe an einer Kultur des Nehmens und
Schenkens
o bürgerliche Rechtsprinzip des äquivalenten Austauschs wird
tendenziell ausgehebelt, jedoch nicht als schlichte Verweigerung
wertförmiger gesellschaftlicher Beziehungen (Warenbesitzer,
-produzenten und -konsumenten), sondern als unmittelbares
Schaffen von Lebens- und Arbeitsformen, durch die sich reich
entwickelte Individuen materielle und geistige
Existenzvoraussetzungen schaffen können
o der Verwertungslogik des Empire - Absorption des gesamten Lebens
durch individuelle (Selbst-)Kontrolle - steht mit der freien
Software-Produktion und -Lebensform eine positive Aufhebung der
G-W/W-G' Logik entgegen: eine Logik des Lebens
o Konfliktlinien verlaufen hier nicht entlang von
Klassen(-Interessen), sondern sind in die Individuen hinein
verlagert, die (vorerst) unvermeidbar an beiden Lebensformen
teilhaben
o neue Qualität des alten Konflikts (unmittelbar menschliche
Bedürfnisse vs. gesellschaftliche Bedingungen ihrer
Befriedigung): den Zumutungen kapitalistischer Vergesellschaftung
wird kein nostalgischer Protest entgegengesetzt, sondern positive
Alternativen zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft auf der
Höhe ihrer zivilisatorischen Errungenschaften
Systemsprengende Parallelität von prä- und postkapitalistischen Lebenspraxen
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o Freie Software-Produktion hebt die Unterordnung von Nutzern unter
fremde Zwecke partiell auf und setzt neue Lebensformen. Damit
eröffnet sie auch bisher o.g. geschichtslosen Formen
unmittelbarer menschlicher Reproduktion einen geschichtlichen
Raum: Mit ihren menschlichen Potenzen können diese zur
Konstitution allgemeinmenschlicher Emanzipation beitragen
o ein altes Problem: Marx zur Mir (vorkapitalistische russische
Dorfgemeinde)
1. russische Bauern seien geborene Sozialisten, können aber selbst
keine sozialistische Gesellschaft begründen; der fortschreitende
Kapitalismus zersetzt diese, die Verteidigung der Mir erscheint
reaktionär
2. die eine aus dem Kapitalismus hervorgehende und siegreiche
westeuropäische Arbeiterbewegung kann jedoch den schlummernden
sozialistischen Potenzen der Mir Geschichtsmächtigkeit verleihen;
Kraft der historische Parallelität kann die Mir zur Konstitution
einer neuen Gesellschaft befähigt werden
o Marx' Irrtum: westliche Arbeiterbewegung sei diese Praxis, durch
die auch vormoderne Formen unmittelbarer menschlicher
Reproduktion zu Keimformen und Triebkräften allgemeinmenschlicher
Emanzipation werden
o Marx' Aktualität: Potenzen der heutigen Parallelitäten von vor-
und nachkapitalistischen Ökonomien des Schenkens und Nehmens
Empire hilft neue Gesellschaft zu denken, wenn...
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o Lohnabhängige sind in Arbeit, Konsumtion und in
Gewerkschaftskämpfen Hauptträger und Triebkraft des globale
herrschenden automatischen Subjekts
o die posttayloristisch-postfordistische Produktionsweise drängt
Produzenten schöpferische und kooperative Fähigkeiten vollständig
zu nutzen = damit entstehen geistige und materielle
Voraussetzungen menschlicher Formen der Vergesellschaftung
allerdings in barbarischen Formen: Ich-AGs entwerfen sich nicht
als Menschen, sondern als Verwertungsmaschinen
o insofern sie zugleich in Strukturen unmittelbarer menschlicher
Bedürfnisbefriedigung (Familien, freie Software) engagiert sind,
ermöglichen solche Voraussetzungen den Akteuren eine Ökonomie des
Schenkens und Nehmens auf hohem Niveau
o eingebunden in verschiedene Praxen, sind die Individuen die
Träger des entscheidenden Widerspruchs: In der einen treiben sie
das Empire in seiner zivilisationsvernichtenden Dynamik an und
die agierenden Individuen in die Situation vereinzelter
Einzelner. In der anderen Praxis konstituieren bzw. erneuern sie
gemeinschaftliche Lebensformen, greifen damit unmittelbar und
direkt "die Konstitution des Empire ganz allgemein an" 69.
o Wertförmigkeit von Produktion und sozialen Beziehungen vs.
unmittelbare menschliche Bedürfnisbefriedigung durch eine Kultur
des Schenkens und Nehmens - der Unterschied ums Ganze.
o Negri/Hardt problematisieren dies Kriterium nicht, das beide
Praxisformen unterscheidet und entgegensetzt; wird der in Empire
fehlende Wertbegriff mitgedacht und auf konkrete Praxisformen
(freie Software u.a.) bezogen, dann sind Empire-Aussagen sehr
hilfreich, die emanzipatorischen Potenzen freier Software und
damit Keimformen einer neuen Gesellschaft zu erkennen. Dann
bekommt auch die Aussage einen Sinn, dass "das Empire die
grausamen Regime moderner Macht wegwischt und sich dabei das
Potenzial der Befreiung verstärkt" 57 Ansonsten erscheint Empire
als Beschreibung eines automatisch ablaufender Prozess in
Richtung Befreiung, auf die mit verschränkten Armen zu warten
ist.
Handlungsoptionen
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1. Lebensperspektive nicht mehr an die Verteidigung alter
Kapitalismus- und Staatsformen binden, sondern an Schritte zu
deren Aufhebung
2. an jedem Punkt Lebensinteressen gegenüber dem "Es muss sich
rechnen" zur Geltung bringen
3. zugleich alle dem Kapitalismus (noch) möglichen und einst
erkämpften Möglichkeiten (alle Alimentierungsformen, auch
Einkommen durch Lohnarbeit) nutzen, um so weit wie individuell
oder kollektiv möglich, aus der kapitalistischen (Wert-)Form aus-
und in die Bedürfnisbefriedigung in der Form freier Assoziationen
einzusteigen
4. neu entstehende Möglichkeiten, Produkte und Fähigkeiten, die noch
in kapitalistischer Form entwickelt, direkt zur
Bedürfnisbefriedigung einzusetzen
5. innerhalb freier Assoziationen und in ihren Vernetzungen alle
bürgerliche Verrechtlichung und sonstige Entfremdungsformen
zugunsten von Lebensformen des Schenkens und Nehmens aushebeln
6. die damit verbundene Zerrissenheit der Individuen voll annehmen;
einen offenen Diskurs über Lebensformen, über menschliche
Bedürfnisse, über Maßstäbe des materiellen und kulturellen
Reichtums führen
Einwände
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o Wertproduktion subsumiert solche auf die unmittelbare
Bedürfnisbefriedigung gerichteten Lebensformen, gewinnt daraus
neue Kraft, Freie-Software-Freaks leben letztlich von Verwertung
(Stipendium, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Erbschaft, familiärer
Unterhalt, partielle Lohnarbeit); sie sind begehrte
Verwertungsobjekte, bemerkenswerte Leistungen in der freien
Software-Produktion heben den Wert ihrer Arbeitskraft, was von
den Akteuren z.T. auch ausgenutzt wird
o historische Erfahrungen: gescheitert sind alle alternativen
Projekte (kommunistische Ketzergemeinden usw.), alle Versuche,
unmittelbar menschliche Lebensformen zu leben und diese
gesellschaftsmächtig werden zu lassen
o Verweise auf politische und militärische Macht, die dem
unmittelbaren Ringen für allgemeinmenschliche Emanzipation
entgegenstünde.
o ernste Einwände, begründen historischen Pessimismus oder die
traditionelle marxistischer Argumentation: Aufhebung der
kapitalistischen Gesellschaft kann nur über die Eroberung der
politischen Macht erfolgen
Antworten
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o historisch und logisches Dilemma des Hoffens auf die historische
Mission der Arbeiterklasse und die Diktatur des Proletariats;
Sinn des einst geschichtsmächtigen Optimismus, der mit diesen
Vorstellungen verbunden: (nachholende) Entwicklungsrevolutionen
innerhalb der bürgerlichen Epoche. Das hat sich mit den
zivilisatorischen Potenzen dieser Epoche erledigt. Festhalten
daran: der wirkliche Pessimismus
o zur Machtfrage Darstellung Inneres - Äußeres in Empire nutzen:
Verständnis dafür fördern, was das Wesentliche an der
Geschichtsmächtigkeit des Kapitalismus war: bei aller Barbarei
war die kapitalistische Formierung ehemals nichtkapitalistischer
Verhältnisse mit der Chance eines zivilisatorischen Fortschritts
für einen Großteil der Menschen verbunden. Begreifen, dass genau
diese Kraft zur Konstitution von Gesellschaft erschöpft ist.
Verstehen, dass sich beides (Einbindung in Kapitalverhältnisse
und Sprengung dieser) heute in der inneren Widersprüchlichkeit
solcher frei assoziierter Individuen darstellt, die aus
unmittelbaren menschlichen Bedürfnissen heraus gemeinschaftlich
ihre Möglichkeiten für ein nichtwertförmiges Leben und Arbeiten
aktiv nutzen und so für sich und andere Menschen materielle und
kulturelle Elemente einer neuen Gesellschaft konstituieren.
o Trotz der Tendenz zu scheitern oder zu ganz normalen
kapitalistischen Unternehmen zu werden, entstehen auch in den
Metropolen immer wieder alternative Versuche, häufig
(Land-)Kommunen am Rande der ökonomischen Reproduktionsprozesse.
Trotz häufig entgegengesetzter Rhetorik und Rückgriffen auf
vormoderne Ideologien, gehen diese Versuche hier nicht aus der
Verteidigung vorkapitalistischer Verhältnisse hervor. Sie bringen
vielmehr menschliche Lebensbedürfnisse gegenüber
spätkapitalistischen Widersprüchen zur Geltung. Auch solchen
Suchbewegungen vermögen Lebensformen der freien Software und
deren Produkte einen starken geistigen Impuls zu verleihen und
zugleich partielle materielle Bedingungen ihrer Existenz sichern
zu helfen.
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