Stefan Merten * Emanzipatorische Vision, Eigentum und Freie Software (was: [ox-en] Conference documentation)
- From: Stefan Merten <smerten oekonux.de>
- Date: Sun, 09 Feb 2003 20:37:07 +0100
Emanzipatorische Vision, Eigentum und Freie Software
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Stefan Merten [smerten oekonux.de]
Diese Foliensammlung ist aus einem Teil des Textes Eigentum und
Produktion am Beispiel der Freien Software
[http://www.oekonux.de/texte/eigentum/] entnommen und ein wenig
erweitert worden.
Die nicht mit Bullets bzw. Spiegelstrichen versehenen, kursiven
Bemerkungen zu den einzelnen Punkten sind persönliche
Gedächtnisstützen zum Vortrag. Sie dienen der Illustration eines
Aspekts, die im Rahmen eines Vortrags möglich ist und erheben nicht
den Anspruch ausformuliert zu sein.
Emanzipatorische Vision und Entfremdung
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Elemente einer emanzipatorischen Vision
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o Umfassende Orientierung an individuellen Bedürfnissen aller
o Alle müssen genug zu Essen haben
Andere Grundbedürfnisse müssen gedeckt sein
Z.B. Gesundheitsversorgung, Wohnen
Aufgrund individueller Bedürfnisse
o Bedürfnisbefriedigung in höchstmöglicher Qualität
Technik ist dafür unabdingbar
o Individuelle und kollektive Selbstentfaltung
Basiert auf Grundbedürfnissen
Erst seine Entfaltung macht den Menschen wirklich zum
Menschen
o Umfassende Gewaltfreiheit
Gewalteinsatz gegen Menschen widerspricht
Selbstentfaltung
Respekt vor allen Menschen
Anerkennung der Grenzen anderer
o "Gute" Konfliktlösungsverfahren
D.h.: Bedürfnisangemessen, nicht entfremdet
o Vergrößerung der Handlungsmöglichkeiten
Vulgo: "Freiheit"
Fazit: Ziemlich klassisch
Verantwortliches Handeln und Entfremdung
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Entfremdung ist zentraler Begriff
Im folgenden: Arbeitsdefinition
o Entfremdung: Wenn ein Mensch in Bezug auf eine Sache nicht
verantwortlich handeln kann
"Sache" weit gefasst:
Materielle Dinge
Immaterielle Dinge wie Ideen oder Bedürfnisse
Auch Menschen
o Verantwortung: Was individuell als Verantwortung erkannt wird
Keine Zuschreibung von Verantwortung
Verantwortung beruht auf Normensystem, das gesellschaftlich
geprägt und dergestalt rückgebunden ist
Individuelles Bekenntnis zu einem Normensystem ist
Voraussetzung
Individuelle Verantwortung ist Teil der Individualität
o Entfremdung ist nicht an bestimmtes Normensystem gebunden
o Verantwortliches Handeln kann prinzipiell unmöglich sein
Verselbständigte Systeme machen verantwortliches Handeln
unmöglich
Domination ebenfalls
Verantwortliches Handeln dann nur noch auf Meta-Ebene
möglich
o Innere Grenzen beschränken verantwortliches Handeln
Alle möglichen (Un-)Fähigkeiten
Z.B. Programmierkenntnisse oder eben nicht
Auch Fähigkeiten im sozialen Umgang
Auch Fähigkeiten im Umgang mit sich selbst
Lernen ist eine wichtige Dimension
Fazit: Verantwortliches Handeln braucht individuelle Freiheit
Nicht-entfremdetes Handeln braucht individuelle Freiheit
Entfremdung und Nutzung
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o Nutzung ist ein wesentlicher Aspekt von Eigentum
Deswegen hier wichtig
o Nutzung und Bedürfnisbefriedigung hängen eng zusammen
Insofern ist der Nutzen einer Sache wichtig in Bezug auf
eine emanzipatorische Vision
Damit auch der Komplex Eigentum
o Nutzen von Waren
o Konkreter Nutzen
Entspringt aus den stofflichen Eigenschaften
o Nutzen in der Verwertung
Entspringt der Warenform
Nutzen für Bedürfnisbefriedigung wird dadurch in Frage
gestellt
Fazit: Konkreter Nutzen ist entscheidend
Für die emanzipatorische Vision
Beispiele für Entfremdung
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o Geld und Arbeit
Bei Geld geht es nie direkt um konkrete Bedürfnisse -
sondern um das abstrakte Geld
Arbeit ist Gelderwerb und insofern nicht an der konkreten
Tätigkeit orientiert
Menschen sind nur noch Funktion von Interesse => Entfremdung
von sich selbst
o Machtkämpfe und Konfliktunfähigkeit
Machtkämpfe drehen sich nicht mehr um das konkrete
Bedürfnis, sondern um ein Machtbedürfnis
Schaden dem konkreten Bedürfnis
Machtbedürfnis braucht eigenen Raum
Konfliktunfähigkeit führt zu Verhalten, dass dem Konflikt
unangemessen und insofern von ihm entfremdet ist
o Abstraktion begünstigt Entfremdung
Abstraktion abstrahiert von konkreten Bedürfnissen
Konkrete Bedürfnisse fallen leicht durch den Rost
o Wichtig:
o Problemangemessenheit und Sachbezogenheit
"Sach"bezogenheit kann sich durchaus auf den konkreten
Menschen beziehen
o Differenzierung der Ebenen
o Abschaffung aller Entfremdungsverhältnisse
o Einerseits: Ermöglicht Bedürfnisorientierung
o Andererseits: Ermöglicht Selbstentfaltung
Fazit: Entfremdung widerspricht emanzipatorischer Vision
Eigentum
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Eigentum vs. Besitz
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o Eigentum
o Keine selbstverständliche soziale Praxis
Muss daher tendenziell mit Gewalt durchgesetzt werden
Eine soziale Praxis kann zwar zu Eigentum formalisiert
werden, umgekehrt geht das aber nicht unbedingt
o Braucht formale Festlegung
In der bürgerlichen Gesellschaft i.d.R. durch Verträge
o "Be-sitz"
o Wächst per Definition aus einer sozialen Praxis
Wort deutet schon die direkte Nutzung der Sache an
o Kann nicht unbegrenzt sein
So groß ist kein Hintern ;-)
o Legitimität ist erkennbar und nachvollziehbar
Beispiel: Mietwohnung
Fazit: Eigentum ist entfremdet bezüglich konkreter Bedürfnisse
Vorkommen, Begrenztheit, Knappheit
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Wichtige Begriffe wenn über Eigentum gesprochen wird
Eigentum am Überfluss macht keinen Sinn
Besitz dagegen schon
o Vorkommen
Für Rohstoffe!
o Ist durch die Natur vorgegeben
o Unveränderbar
o Begrenztheit
o Den Menschen zur Verfügung stehender Anteil am Vorkommen
o Ist durch technische Mittel und politische Entscheidungen
veränderbar
o Produkte sind durch Produktionskapazität begrenzt
Im weiteren auch durch Verteilungsfragen
o Knappheit
o Ist gesellschaftlich bestimmt und kann hergestellt werden
Erdöl ist nicht immer knapp gewesen
Bei Informationswaren muss Knappheit heute hergestellt
werden
o Dient der Erzielung entfremdeten Nutzens
Nutzungsausschluss ist Kern der Knappheit
Tausch kann nur auf Knappheit beruhen
Fazit: Knappheit ist kein Naturgesetz
Mit weiter bestehenden Begrenztheiten muss umgegangen werden
Eigentum wozu?
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Oder: Was ist im Interesse einer emanzipatorischen Vision
wünschenswert an diesem Konzept?
o Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten
Gewährt Verfügungsmöglichkeiten über die Sache
Muss erhalten werden
o Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten
Für die Nicht-EigentümerInnen
o Bedürfnisorientiert: Konsum, Geheimnisse
o Entfremdet: Nutzung oder Eigentumsübertragung nur unter
Bedingungen
D.h. Kauf oder Lizenz
Nutzungsausschluss ist Kern des Eigentums
Eignet sich hervorragend zur Erzeugung von Knappheit
Besonders augenfällig bei Informationsgütern, wo sie
ausschließlich formal begründet ist
o Subtil: Kein Interesse an stofflicher Qualität
Stoffliche Qualität ist nur ein Vehikel zur Erzeugung von
Nachfrage und damit Knappheit
Keine Verantwortlichkeit für die Sache jenseits
Vehikelfunktion
Fazit: Entfremdungspotential ist das Problem
Eigentum an Informationsgütern
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Informationsgüter
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o Materielles Substrat ist notwendig
o Buch, CD, Gehirn
o Materielles Substrat ist nicht entscheidend
o Kopierbarkeit
War immer gegeben
Heute besonders einfach für digitale Information
o Informationsgut wird durch Verbreitung nicht weniger
o Informationsgüter waren immer wichtig
Wissen auch z.B. bei Handwerkern
o Informationsgüter sind heute von entscheidender Bedeutung
Weil auf dem aktuellen Produktivitätsniveau ohne
Informationsgüter Produktion materieller Güter nicht mehr
denkbar ist
In einer Produktionsstätte - aber auch z.B. die
Lieferbeziehungen
Bei Marx: Verwissenschaftlichung der Produktion
Fazit: Entscheidende Frage: Eigentum an Informationsgütern
In gewissem Sinne: Eigentum an Produktionsmitteln in
moderner Form
Auch erkennbar am steigenden Stellenwert der WIPO (World
Intellectual Property Organization)
Geistiges Eigentum in der Geschichte
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Geistiges Eigentum == Eigentum an Informationsgütern
o Historisch relativ jung
o Entstanden mit der Verwertbarkeit von Informationsgütern
o Verwertbarkeit entstand durch Bindung an materielles Produkt
Bücher
Schallplatten und Vorläufer
o Kopieren war schon immer "das Problem"
Geistiges Eigentum ist wesentlich eine Regulation des
Kopierens
Kopieren stellt Knappheit in Frage
o Verlage sind an geistigem Eigentum interessiert
Diese stellen das materielle Substrat her und verkaufen es
o ProduzentInnen weniger
Stellen Informationsgut zur allgemeinen Benutzung her
Wissenschaft lebt vom Freien Fluss
Fazit: Geistiges Eigentum entspringt der Entfremdung
Konkreter Nutzen geistiger Leistung ist auch ohne Eigentum
gegeben
Geistiges Eigentum heute
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o Computer verarbeiten Informationsgütern
Sonst nichts!
Kopieren geht hier bis in die Hardware hinein
o Universelle Kopiermöglichkeiten in jedem Haushalt
Digitale Kopie ist so universell wie der Elektromotor in der
Industrie
o Kopieren verbieten ist aussichtslos
Nur ein Polizeistaat könnte dies durchsetzen
o Altes Regime vs. neue Möglichkeiten
o Musikindustrie vs. HörerInnen
Napster
Filmindustrie wird folgen
Überleben hängt an der Verknappung (sagen sie
zumindest)
o Verlage vs. WissenschaftlerInnen
o Pharma-Industrie vs. PatientInnen
Bewegung für Generika
o Proprietäre(!) Software-Produzenten vs. RaubkopiererInnen
Hier lässt die Freie Software auf breiter Front das
alte Regime hinter sich
o VermarkterInnen vs. ProduzentInnen
In allen Fällen von konkreten Bedürfnissen entfremdeter
Nutzen vs. konkrete Bedürfnisse
Fazit: Kann geistige Leistung eine Ware bleiben?
Wareneigenschaft des wichtigsten Produktionsmittels
unterminiert
Durch digitale Kopierbarkeit
Digitale Kopierbarkeit ist eine neue Qualität
Stellt das gesamte Verknappungsregime nachhaltig in Frage
Freie Software und geistiges Eigentum
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o Copyleft wendet Eigentumsregime gegen sich selbst
o Freie Software zeigt:
o Ohne Verknappung blühen Informationsgüter auf
Auch in anderen Bereichen: Wissenschaft, Musik,
Kochrezepte
o Entfremdete Anreize sind überflüssig
Motivation wird durch entfremdete Anreize sogar gestört
o Nutzen für viele ist sehr hoch
Breite Benutzbarkeit
Breite Bildungsmöglichkeiten im Software-Bereich
o Nutzen für einzelne ist sehr hoch
Produktqualität ist höher ohne Verknappung
Fazit: Nieder mit dem geistigen Eigentum!
Besonders pikantes Konfliktfeld zwischen verschiedenen
Kapitalgruppen
Eigentum an materiellen Gütern
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Eigentum und Automatisierung
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o Replikator - gibt's noch nicht :-(
Würde die Produktion materieller Güter der von
Informationsgütern ähnlich machen
o Aber die Automatisierung schreitet schnell voran :-)
CNC-Maschinen, Industrieroboter, Fabber
Materialisieren materielle Güter aus digitalen Daten
o Materielle Güter brauchen immer weniger Arbeit
Gut, da weniger Notwendigkeit mehr Raum für Selbstentfaltung
lässt
Verfügbarkeit von (billiger) Arbeitskraft ist zentrale
Begrenzung der industriellen Ära
Zunehmende Automatisierung hebt diese Begrenzung tendenziell
auf
o Automatisierung für Privatpersonen?
Regionale Fabber-Farm einer lokalen Community?
o Freie Baupläne + Fabber = Selbstentfaltete materielle Produkte
Fazit: Emanzipatorische Vision braucht Automatisierung
Freie Software und materielles Eigentum
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o Materielles Substrat Freier Software
o Früher: Computer an Universitäten
o Heute: Private Computer
o Internet
o Freie Software hat niedrige Hardware-Anforderungen
Mein acht Jahre alter Rechner läuft als Internet-Gateway
Fazit: Materielles Eigentum ist nicht entscheidend
Zeigt einerseits Verschiebung auf Informationsproduktion
Ist andererseits Grundlage für Keinform
Hinsichtlich Machbarkeit
Hinsichtlich Produktivkraftentwicklung, die das begünstigt
Was tun?
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Eigenes Handeln beFreien
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o BeFreiung selbst hergestellter Informationsgüter
o Software (http//www.gnu.org/copyleft/gpl.html)
o Texte (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)
o Andere Inhalte http://opencontent.org/
o Nutzung aufgegebener Produktionsmittel
Problem: Deren Orientierung auf Verwertung
Kreative Lösungen sind denkbar
Fazit: Einstieg ist individuell möglich
Politische Handlungsmöglichkeiten
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o Eigentum an Informationsgütern abschaffen
o Öffentliche geförderte Informationsgüter beFreien
o Grundsicherung für alle, die es wollen
Schafft Unabhängigkeit von Eigentum
Schafft Freiraum für nutzungsorientierte Tätigkeiten
Fazit: Einstieg ist politisch möglich
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