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Hans-Gert Graebe * Die Macht des Wissen in der (post)modernen Gesellschaft (was: [ox-en] Conference documentation / Konferenzdokumentation)



Die Macht des Wissen in der (post)modernen Gesellschaft
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Hans-Gert Gräbe [graebe at informatik.uni-leipzig.de]

http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/infopapers/mawi.html

http://www.opentheory.org/mtb-mawi/

Matthias Käther beschließt seinen Aufsatz [6] mit den Worten "Denn, um
noch einmal den klugen Bacon zu zitieren: Wissen ist Macht." Im
folgenden Text versuche ich, die Spur dieser Macht des Wissens in den
komplizierten, widersprüchlichen Umbruchprozessen der heutigen
(post)modernen Zeit ein Stück weit zu verfolgen.

Die Widersprüche der heutigen Zeit sind mit Händen zu greifen. Sie
haben ihre Wurzeln in tiefen technologischen Veränderungen, welche mit
Computer und Internet auf das Engste verbunden zu sein scheinen. Diese
Veränderungen haben einen kompletten gesellschaftlichen Gegenentwurf
zum Kapitalismus zu Beginn der neunziger Jahre des eben zu Ende
gegangenen Jahrhunderts fast lautlos in sich zusammenfallen lassen und
klopfen nun, am "Ende der Geschichte", an die Pforten des
"effektivsten aller Gesellschaftssysteme" und drängen vehement auf
Lösung.

Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass eine kapitalistisch
verfasste gesellschaftliche Ordnung mit technologischen
Herausforderungen konfrontiert wird; noch immer fanden sich bisher
Antworten und die Kraft, die gesellschaftliche Ordnung entsprechend
den neuen Herausforderungen umzubauen, ohne dabei die grundlegenden,
eine marktwirtschaftlich-kapitalistische Ordnung konstituierenden
Elemente in Frage zu stellen oder gar über Bord werfen zu müssen. Mit
dieser historischen Kompetenz im Rücken macht sich das politische
Establishment auch heute mit Schwung an die Arbeit und initiiert einen
großflächigen Umbau der bisherigen gesellschaftlichen Ordnung, mit
welchem den neuen Herausforderungen begegnet werden soll, abermals
ohne die Grundlagen des kapitalistischen Gesellschaftssystems
anzutasten.

Der neoliberale Mainstream folgt dabei bewährten Mustern, womit sich
allerdings unter den gegenwärtigen Bedingungen Probleme eher zu
verschärfen scheinen. Doch Umwälzungen greifen immer Besitzstände an -
und wo gehobelt wird, da fallen Späne. Jeder muss in solchen
Umbruchzeiten sein persönliches Opfer bringen - so etwa lautet die
Replik auf entsprechende Klagen, worauf man Widerstände in der
medialen Darstellung gern zu reduzieren sucht. Argumente werden laut,
eindringlich und medial wirksam vorgetragen, obwohl - oder weil? -
eine innere Logik oft nicht mehr zu erkennen ist. Oder kann es jemand
erklären, dass man auf dem Weg in die Wissensgesellschaft gerade an
den öffentlichen Ausgaben für Bildung spart?

Die zunehmende Schere zwischen öffentlicher strategischer
Argumentation und der Realität praktischer politisch-administrativer
Tagesarbeit beginnt bereits an den Grundfesten eines demokratisch
verfassten Staatswesens zu rütteln, gerade auch im Bildungsbereich, wo
blumig Lösungen für das Problem der sinkenden staatlichen Finanzierung
durch Privatisierung und Markt versprochen werden. Die vielfältigen
politischen Bemühungen, dafür "Bildungsprodukte" marktgängig zu
machen, treffen auf den erbitterten Widerstand der
Wissenschaftsgemeinde, die in einem solchen Ansinnen die Grundlagen
des Wissenschaftsbetriebs in seiner bisherigen Form gefährdet sieht
und dem dezidiert das altbewährte Prinzip des freizügigen Zugangs zu
den Wissensgütern der Gesellschaft entgegenstellt. Wahrung alter
Besitzstände einer ewig gestrigen Professorenschaft?

Wie dem auch sei, die Barrikaden sind aufgerichtet, und da mag es
schon erstaunen, eine Meldung wie die folgende zu lesen [9]:

Unterstützung der Budapest Open Access Initiative durch das "Information Program" des Open Society Institutes, 14. Februar 2002
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Die Budapest Open Access Initiative (BOAI), die heute an die
Öffentlichkeit getreten ist, möchte internationale Bemühungen um den
weltweit freien Online-Zugang zu wissenschaftlichen
Zeitschriftschriftenveröffentlichungen in allen akademischen Feldern
bündeln und beschleunigen. Die BOAI ist aus einem Treffen
hervorgegangen, dass in Budapest von dem Open Society Institute (OSI)
veranstaltet wurde.

Das OSI "Information Program" verpflichtet sich, für die Dauer von
drei Jahren jährlich 1 Million US Dollar zur Förderung von open
access-Projekten zu vergeben. Gefördert werden:

o    die Entwicklung von Geschäfts- und Finanzierungsmodellen des
     Self-Archiving und für open access-Fachzeitschriften;

o    die Nutzung von Bibliotheksnetzwerken (wie das "Electronic
     Information for Libraries consortium", dem derzeit 40 Länder
     zugehören, siehe http://www.eifl.net) zur Mobilisierung
     weltweiter Unterstützung für die open access-Bewegung;

o    die Unterstützung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen
     aus einkommensschwachen Ländern und Regionen, damit sie in open
     access-Fachzeitschriften, die Gelder für die Veröffentlichung und
     Verbreitung von Beiträgen verlangen, publizieren können;

o    die (Weiter-) Entwicklung von Software für open
     access-Zeitschriften und für das Self-Archiving (Indexierung und
     Navigation);

o    die Verbreitung der Philosophie des open access bei staatlichen
     und nichtstaatlichen Fördereinrichtungen und Stiftungen, bei
     Bibliotheken und Universitäten, bei Regierungsstellen und
     Politikern und Politikerinnen, und bei international operierenden
     Institutionen.

Was sind das hier für Akteure und Institutionen, die sich so dezidiert
entgegen dem Mainstream für freizügigen Zugriff auf Informationsgüter
einsetzen und dafür auch noch nicht unbeträchtliche Geldsummen zur
Verfügung stellen? Der erste der beiden Akteure, die Budapest Open
Access Initiative, wird weiter im Text wie folgt dargestellt:

Die Budapest Open Access Initiative wurde von den Teilnehmern und
Teilnehmerinnen des Budapester Treffens und von Hunderten
Einzelpersonen und Institutionen aus aller Welt unterzeichnet, von
Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, von Universitäten,
Bibliotheken, Fördereinrichtungen, Zeitschriften, Verlagen und Learned
Societies. Die Webseite enthält neben den Unterschriften derer, die
bisher unterzeichnet haben, Vorschläge zur Unterstützung der BOAI und
ein ausführliches FAQ. Wir ermutigen Einzelpersonen und Institutionen,
die Initiative zu unterzeichnen und sich zu informieren, wie sie die
open access-Bewegung unterstützen können.

Es handelt sich also um einen breiten Zusammenschluss von
Wissenschaftlern, Bibliotheken und Wissenschaftsorganisationen, welche
in den aktuellen Entwicklungen eine deutliche Gefahr für den
freizügigen Austausch wissenschaftlicher Information und damit für den
Wissenschaftsbetrieb in seiner heutigen Verfassung sehen und aus
dieser Sorge heraus politisch aktiv werden. Wer aber ist das OSI, der
Mäzen der Bewegung, der Geldgeber? Dazu heißt es weiter im Text:

Das OSI ist eine private Stiftung, die die Entwicklung und
Implementation von Programmen in den Feldern Zivilgesellschaft,
Erziehung und Bildung, Medien, Public Health, Frauen- und
Menschenrechte fördert, ebenso Bemühungen um soziale, gesetzliche und
wirtschaftliche Reformen. Das OSI operiert als Zentrum eines
informellen Netzwerkes aus Stiftungen und Einrichtungen, die in mehr
als 50 Ländern verschiedene Programme unterstützen. Es wurde 1993 von
George Soros zur Vernetzung derartiger Programme, zur Förderung von
Intiativen, usw. gegründet. ... Besuchen Sie http://www.soros.org für
weitere Informationen.

George Soros also, einer der ganz Großen aus der Welt des ganz großen
Geldes. Wie hat sich dieser dezidierte Vertreter der Finanzwelt auf
die "falsche Seite" der Barrikaden verirrt? Doch es kommt noch besser.

Ein wesentlicher Akteur im Kampf um den freizügigen Zugang zu den
Wissensgütern der Gesellschaft ist die OpenSource-Bewegung, die mit
GNU/Linux eine Alternative zu proprietären Betriebssystemen, allen
voran Windows, geschaffen hat und in deren Schoß eine große Zahl
erstklassiger Software-Werkzeuge entstanden sind, welche allen
Interessenten zu sehr freizügigen Bedingungen zur Nachnutzung,
Anpassung und Weiterentwicklung bereit gestellt werden und durch die
Entwicklergemeinde selbst in einen ständigen Vervollkommnungsprozess
eingebunden sind. Dass Bill Gates mit scheelen Augen auf diese
Entwicklungen schaut ist verständlich. Weniger verständlich mag da
schon die folgende Mitteilung erscheinen[4]:

IBM steckt eine Milliarde Dollar in Linux
-----------------------------------------

Anlässlich der Bekanntgabe des Verkaufs eines großen Linux-Clusters an
Shell auf der eBusiness Conference and Expo in New York hat IBM-Chef
Louis Gerstner angekündigt, dass sein Unternehmen nächstes Jahr eine
Milliarde Dollar in Linux investieren wolle. Dabei betonte die
wichtige Rolle von Linux innerhalb der zukünftigen E-Strategie seines
Unternehmens: Schon jetzt seien 1500 IBM-Programmierer damit
beschäftigt, Business-Software nach Linux zu portieren.

Darüber hinaus bezog Gerstner deutlich Position: "Es gibt
Einschätzungen, dass Linux an Windows NT vorbeiziehen und eine höhere
Verbreitung finden wird". Die Bewegung hin zu offenen Standards sei
unaufhaltsam. Firmen wie Sun oder Microsoft bezeichnete Gerstner als
die "letzten großen proprietären Spieler, die man für lange Zeit in
der IT-Branche sehen wird".

Die beiden zitierten Meldungen halte ich im weiter oben ausgebreiteten
Kontext für durchaus bemerkenswert: In einem Klima, das auf zunehmende
Parzellierung und Privatisierung der Wissensressourcen drängt,
investieren diese herausragenden Vertreter der großen Finanz- und
Geschäftswelt nicht unerhebliche Summen in Projekte, welche gerade den
Zusammenhalt der Wissensressourcen zm Gegenstand haben, deren
Profilierung als gemeinsame, freizügig zugängliche Infrastruktur,
eines gemeinschaftlich zu bewirtschaftenden Substrats, ohne welches
die verschiedensten Blumen marktwirtschaftlich produktiver Aktivitäten
gar nicht erst erblühen könnten, und die natürlich, durch ihre enge
Verknüpfung mit diesem Substrat, erblühend einen eigenen dinglichen
und oft auch monetären Beitrag zur Reproduktion dieses Substrats
leisten können und leisten. Bemerkenswert an diesen finanziellen
"Spenden" ist vor allem, dass sie sich allenfalls aus einem
weitreichenden strategischen Kalkül heraus rechfertigen lassen,
keineswegs aber mit einer Return-on-Invest-Kalkulation, diese
Entscheidungen also gerade nicht einer marktwirtschaftlichen Logik
entspringen.

An dieser Stelle halte ich es für angezeigt, einen kleinen
theoretischen Exkurs zur marktwirtschaftlichen Logik und deren
gesellschaftlicher Bedeutung und Einbettung einzuschieben. Ich halte
mich dabei an Marx , insbesondere die von ihm thematisierte Verbindung
dieser ökonomischen Mikroprozesse mit gesamtgesellschaftlichen
Sozialisierungsprozessen, da die Aussagekraft dieses Teils seiner
Theorie heute wohl auch unter (seriösen) Marxkritikern weitgehend
unbestritten ist. Marx interpretiert dabei Geld und Warenaustausch als
Elemente eines Prozesses der Sozialisierung individueller produktiver
Arbeit, welche über den Tausch auf dem Markt zu einem durchschnittlich
erforderlichen Aufwand ins Verhältnis gesetzt wird. Auf diese Weise,
so Marx, etabliert sich (unabhängig vom Willen der Marktteilnehmer und
hinter deren Rücken) ein gesellschaftliches Maß für die Effizienz
individueller produktiver Arbeit, das seiner Natur nach ein Zeitmaß
ist und dessen Anwendung das Gelingen des Tauschs am Markt (das
Vorhandensein einer Nachfrage) zur Voraussetzung hat. Dieses Gelingen
des Tausches ist ein zweites sozialisierendes Moment, denn es wird nur
in einem gesellschaftlichen Kontext "sinnvolle" Arbeit überhaupt erst
bewertet. Mit diesem "Sinn" hat es eine besondere Bewandtnis: Marx
stellt dazu fest, dass es sich bei marktgängiger produktiver Arbeit um
zweckmäßige Arbeit handelt, wobei der Zweck individuell und vor dem
Produktionsprozess gesetzt sein muss, aber gesellschaftlich erst nach
dem Produktionsprozess, eben auf dem Markt, abgefragt wird. Ein
solcher Mechanismus funktioniert aber nur, wenn sich die Wirkung einer
Zwecksetzung antizipieren, die produktive Arbeit also planen lässt.
Dies, so Marx, ist eine dem Menschen eigene Fähigkeit:

Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen
ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen
des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer
Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein
den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist,
daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs
baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim
Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon
ideell vorhanden war. ... [8, S. 193]

Marktmechanismen spielten in diesem Zusammenhang eine progressive
Rolle in der Entwicklung menschlicher Vergesellschaftungsformen.
Während in vorkapitalistischen Zeiten Zwecksetzung für die produktive
Arbeit extern, durch Clanführer, Sklavenbesitzer, Feudalherren -
allerdings auf einer dinglichen Basis - erfolgte, so rückt die
Zwecksetzung nun in die unmittelbare Nähe der produktiv Tätigen. Wir
befinden uns dabei an einem Bifurkationspunkt menschlicher
Entwicklung: Während in der ganzen bisherigen Entwicklung die
"Korngröße" der gesellschaftlichen Entwicklungsstrukturen mit
Zwecksetzungsvollmacht linear mit der Korngröße der durch die
produktive Arbeit in Gang gesetzten "Macht der Agentien" wuchs und so,
wenigstens notdürftig, der dinglichen Logik der Planung produktiver
Arbeit Genüge getan war, sind wir mit Beginn der kapitalistischen
Marktwirtschaft mit dem Phänomen konfrontiert, dass ein weiteres
Wachstum der Korngröße der Macht der Agentien mit einem Rückgang der
Korngröße der Zwecksetzungsvollmacht einher geht. Die Beachtung
dinglicher Logiken durch weitere Zentralisierung der
Zwecksetzungsvollmachten ist an ihre Grenzen geraten - auch wenn sie
im realsozialistischen Entwicklungsmodell noch einmal eine Renaissance
erfuhr - und wird durch eine deutlich dezentralisierte
Zwecksetzungsvollmacht abgelöst.

Dieser Schritt vom WIR zum ICH, zu inhaltlicher Selbstbestimmung,
welche auf dem Markt als (noch blindem) Netzwerk und
Kommunikationsmedium solcher lokaler Zwecksetzungsvollmachten ihre
Sozialisierung erfährt, zu einer solchen extrem zukunftsträchtigen
Lösung des bisherigen Korngrößendilemmas, ist allerdings mit einem
Pferdefuß behaftet: Das Sozialisierungsmedium Markt ist aus sich
heraus, die radikale Konsequenz der immer unzulänglicheren Beachtung
dinglicher Logiken in den bis dahin wirkenden Entscheidungsstruturen
ziehend, nun gar nicht mehr in der Lage, dingliche Logiken zu
transportieren. Es wird der lokalen Intelligenz der Zweck setzenden
Markteinheiten überlassen, dies hinter dem Rücken des Marktes zu
verhandeln, wozu über die Jahrhunderte eine ausgefeilte
Verhandlungsstruktur, der gesamte gesellschaftliche Überbau,
entwickelt wurde.

Diese Medaille hat allerdings zwei Seiten, und Marx betrachtet zu
Recht vor allem die andere: Die Entfremdung der Produzenten von ihren
Produktionsbedingungen, denn es ist in erster Linie nicht die
Verhandlungsmacht dinglicher Logiken, welche die heutige
gesellschaftliche Dynamik erzeugt, sondern die "blinde tautologische
Selbstbewegungsstruktur des Geldes" (Kurz, [7, S. 290]), die
entfremdete abstrakte Wertform, auf welche alle dingliche Logik durch
diesen Markt reduziert wird. Lokal sieht alles gut aus, aber das große
Koordinatensystem stimmt (noch) nicht.

Die Beachtung dinglicher Logiken setzt das Wissen um dieselben voraus,
so dass es an der Zeit ist, im hier vorgetragenen Argumentationsfaden
auch Aspekte des Wissens und der Reproduktion der gesellschaftlichen
Wissensbasis einzuflechten. Wissensproduktion erfolgte auch unter
kapitalistischen Bedingungen bisher zum überwiegenden Teil "hinter dem
Rücken des Marktes", in einer speziell alimentierten und einem eigenen
ausgefeilten Regelwerk folgenden Sphäre der Gesellschaft - der
Wissenschaftssphäre. Die Ökonomisierung wissenschaftlicher Ergebnisse
ist ein ganz eigenes Problem, denn wie schon Marx feststellte:

Wie mit den Naturkräften verhält es sich mit der Wissenschaft. Einmal
entdeckt, kostet das Gesetz über die Abweichung der Magnetnadel im
Wirkungskreis eines elektrischen Stroms oder über Erzeugung von
Magnetismus im Eisen, um das ein elektrischer Strom kreist, keinen
Deut. [8, S. 407]

und weiter in der Fußnote

Die Wissenschaft kostet den Kapitalisten überhaupt "nichts", was ihn
durchaus nicht daran hindert, sie zu exploitieren. Die "fremde"
Wissenschaft wird dem Kapital einverleibt wie "fremde" Arbeit.
"Kapitalistische" Aneignung und "persönliche" Aneignung, sei es von
Wissenschaft, sei es von materiellem Reichtum, sind aber ganz und gar
disparate Dinge. ...

An den wenigen Stellen, an denen sich ökonomische und
Wissenschaftssphäre überlappten, waren spezielle
Sicherungsvorkehrungen wie etwa das rechtliche Instrument der Patente
einzubauen, um die notwendigen Interessenabwägungen zu
operationalisieren, welche weder die Wissenschaft noch die Ökonomie je
allein aus ihrem inneren Regelwerk heraus in der Lage waren zu
behandeln.

Entgegen all dieser historischen Erfahrung, die eher zur Vorsicht
mahnt, wird im Rahmen neoliberaler Politikansätze vehement versucht,
marktwirtschaftliche Regulationsmechanismen in die Wissenssphäre
hineinzutragen. Welche Auswirkungen haben solche
Regluationsmechanismen in einer ihnen scheinbar unangemessenen
Umgebung? Dazu ist es lehrreich, die Reproduktionsanforderungen von
produktiver Arbeit, für welche ja die Marktmechanismen "gemacht
wurden", und von Wissen gegenüberzustellen. Ich hatte bereits an
anderer Stelle [3] eine Gemeinsamkeit ausgeführt: Dass beide ihren
aktiven Träger im individuellen Bereich haben, die volle Wirkung sich
aber erst im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang entfaltet, so dass
es Sozialisierungsprozesse sowohl von produktiver Arbeit als auch von
Wissen gibt. Ebenda hatte ich dann weiter ausgeführt, dass
marktwirtschaftlich geprägte Vergesellschaftungsformen produktiver
Arbeit und Formen der Vergesellschaftung von Wissen unterschiedlichen
inneren Logiken folgen. Ihre normative und zugleich
gesellschaftskonstituierende Wirkung geht von völlig unterschiedlichen
Prämissen aus.

1.   Der klassische Produktmarkt ist zwar gesellschaftlich vermittelt,
     reduziert sich aber letztlich auf ein - zudem sehr individuelles
     - 1-1-Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer, das zusätzlich
     von einem Wechsel dinglicher Eigentumsrechte im Rahmen des
     Verkaufsvorgangs begleitet wird.

     Dagegen kann man am eigenen Wissen und an Informationen viele
     andere partizipieren lassen, ohne dass dieses sich auch nur im
     mindesten verbrauchen würde. Wissen ist damit in der Lage, sich
     zu verbreiten und (in einem gesellschaftsrelevanten Sinne) zu
     "vermehren".

2.   In einem klassischen Verkaufsvorgang haben, wie Marx nicht müde
     wird zu betonen und wie oben noch einmal herausgearbeitet wurde,
     Verkäufer und Käufer klare Vorstellungen von der Nützlichkeit des
     auszutauschenden Produkts. Mehr noch, für das Funktionieren
     marktwirtschaftlicher Mechanismen ist es wesentlich, dass diese
     Vorstellung nicht erst zum Zeitpunkt des Austausches, sondern
     bereits vor der Produktion der Ware selbst im Kopf des
     Produzenten existiert. Produktive Arbeit ist in diesem Sinne
     zweckgerichtete Arbeit und als solche planbar.

     Derartige A-priori-Vorstellungen gibt es für die meisten
     "geistigen" Produkte nicht. Im Gegenteil, es ist eher die Regel
     als die Ausnahme, dass der Nutzen wissenschaftlicher Arbeit erst
     im Nachhinein zu beurteilen ist und sich ein solcher Nutzen oft
     in kausal und auch zeitlich überraschender Form auf eine im
     Voraus nicht transparente Weise manifestiert und damit in dieser
     Form weder vorherseh-, geschweige denn planbar ist. Mehr noch,
     eine Beschränkung der Betrachtung auf in diesem Planbarkeitssinne
     "nützliches" Wissen blendet die für gesellschaftlichen
     Fortschritt entscheidenden, ja vielleicht alle "interessanten"
     Wissensformen aus.

3.   Eng damit verbunden ist der Umstand, dass die Vergesellschaftung
     und Reindividualisierung, die beiden Phasen der Sozialisation,
     die bei einem auf dem klassischen Markt ausgetauschten
     materiellen Produkt unmittelbar und inhärent miteinander verzahnt
     sind und der Übergabe eines Staffelstabs gleichen, bei den
     meisten geistigen Produkten nicht nur zeitlich, sondern auch
     kausal weit auseinanderfallen können.Während der Markt also mit
     den Kategorien Eigentum und Ware eine gesellschaftlich
     vermittelte Individualität erzeugt, ist Wissen in diesem Sinne
     eine individuell vermittelte Gesellschaftlichkeit. Als solche ist
     es, im Gegensatz zu Waren, auch in Teilen nicht vernünftig
     privatisierbar, ohne seine Reproduktionsfähigkeit existenziell in
     Frage zu stellen.

Wissen ist in diesem Sinne zugleich Teil einer Infrastruktur, in
welche produktive Aktivitäten eingebettet sind. Ohne Existenz dieses
Substrats würden die einzelnen produktiven Aktivitäten schlicht
vertrocknen oder noch eine Weile vor sich hin laufen und dann zum
Erliegen kommen. Es ist deshalb nur zu verständlich, dass
infrastrukturelle Fragen heute eine deutliche Aufwertung als Fokus von
Managementaktivitäten erfahren haben. Schlagworte aus dem
betriebswirtschaftlichen Kontext wie Geschäftsprozessmodellierung,
Qualitätsmanagement, CRM, B2B, SCM usw. belegen dies.

Da wir festgestellt hatten, dass marktwirtschaftliche
Regulationsmechanismen für diesen Bereich - vorsichtig gesagt - wenig
geeignet sind, also eine alleinige Orientierung an einem wie auch
immer berechneten Return on Invest zu sehr zweifelhaften Ergebnissen
führt, wollen wir uns in der weiteren Argumentation vom Geldmaß im
engeren Sinne lösen und die allgemeinere Frage stellen, wie man in
einer solchen Umgebung in eine vielleicht primär nicht geldwerte, aber
wenigstens vorteilhafte Position kommt.

Hier sind zwei grundlegend verschiedene Herangehensweisen zu
beobachten. Die eine gruppiert sich um den Ansatz des
Informationsvorteils: Ich bin im Vorteil, wenn ich über möglichst
viele Informationen anderer verfügen kann, selbst aber so wenig wie
möglich Informationen preisgebe. In diesem Kontext hat Handel mit
Informationen einen Sinn und Konzepte wie geistiges Eigentum,
Copyright, DRM und so weiter ergeben sich auf natürliche Weise.
Allerdings zeigt diese unvoreingenommene Formulierung des Prinzips
schon dessen hochgradige Asymmetrie, so dass Unternehmen, welche einer
solchen Vorteilsstrategie folgen, kaum Partner auf Augenhöhe finden
werden, und mit jedem solchen Partner auf Augenhöhe sofort ein Ringen
um Dominanz einsetzen wird. Unternehmen mit einem solchen
Vorteilsbegriff sind gezwungen, "sich zu vernetzen, ohne sich zu
vernetzen", wie Wolf Göhring [2] deren Dilemma treffend auf den Punkt
gebracht hat. Subdominante Unternehmen befinden sich in einem
ständigen Abwehrkampf, bis sie begriffen haben, dass es in einem
infrastrukturell abgrenzbaren Marktsegment nur einen Marktführer geben
kann, der dann aber auch einen entscheidenden Teil der Verantwortung
für die Reproduktion der gemeinsamen Infrastruktur "am Hals" hat. Ein
Prinzip, das zu Marktführerschaft, in der Softwarebranche zu
monolithischen Systemen und zu einer Kathedralenstrutur im Sinne von
Eric Raymonds berühmtem Aufsatz [11] führt. Es ist die Wiedergeburt
"realsozialistischer" Strukturen im Kleinen und eine für
kapitalistische Verhältnisse auf den ersten Blick sehr attraktive
Lösung. Sehr attraktiv allerdings nur in einem statischen Kontext:
Einmal eine Erfindung machen und dann Geld scheffeln bis zum Abwinken.
Den Traum haben schon viele geträumt, nicht zuletzt in der Boom-Welle
der New Economy, aber noch kaum jemand realisiert; er liegt auch dem
Verständnis von Software als Produkt zu Grunde. Dieser Traum ist
allerdings wohl auch eine der zentralen Ursachen für den ungeheuren
Druck, mit dem heute versucht wird, das Konzept mobilen geistigen
Eigentums umfassend gesellschaftsfähig zu machen.

Dieses Vorteilsprinzip hat einen weiteren entscheidenden Haken: es
hilft nicht bei der Lösung des "Korngrößendilemmas", denn es skaliert
genauso schlecht wie das vorkapitalistische und das realsozialistische
Gesellschaftsmodell, da die Größe des "dicksten Korns" immer in der
Nähe der Größe des Gesamtsystems bleibt.

Das andere Vorteilsprinzip ist das des Kompetenzvorteils. In einer
Infrastruktur von allgemein freizügig zur Verfügung stehenden
Wissensbausteinen ist das Unternehmen im Vorteil, welches diese
Bausteine besonders gut für spezielle Anforderungen zu praktisch
relevanten Lösungen zu kombinieren vermag. Diesen Vorteil erreicht ein
Unternehmen, wenn es besonders eng mit dieser Infrastruktur verbunden
ist und eine Vielzahl von Wurzeln ausgeprägt hat, mit denen es dort
verankert ist. Eine fette Frucht auf einem dünnen Stengelchen wird
sich da kaum nachhaltig ernten lassen. Mit Blick auf das
Korngrößendilemma skaliert ein solches Vorteilssystem perfekt und
erlaubt es auch, spezialisierte Teilkompetenzen in einem
übergreifenden Netzwerk auszubilden, welche mit ähnlich großen, anders
spezialisierten Teilkompetenzen auf Augenhöhe kooperieren können ohne
sich in dauernde Ringkämpfe begeben zu müssen.

Einzige Bedingung für ein solches Vorteilsmodell ist die Existenz,
Pflege und Reproduktion eines freizügig nutzbaren Pools von
Wissensbausteinen. An dieser Reproduktion müssen sich alle Nutzer mit
vergleichbarem Aufwand beteiligen oder - genauer - über diese Frage
muss fair und ergebnisorientiert verhandelt werden können. Die
Bedingungen dafür sind gut, denn einerseits enthält eine gemeinsame
Wissensinfrastruktur eine Kommunikationsinfrastruktur als
konstituierenden Bestandteil, und andererseits ziehen alle beteiligten
Seiten aus dieser Form von Kooperation Vorteil und werden deshalb
deren Scheitern nur unter außergewöhnlichen Bedingungen riskieren. Die
Parallelen zu Holzkamps berühmter Argumentation zum Verhältnis von
Partialinteressen und Allgemeininteresse in [5] sind augenfällig.

Das System "Vorteil durch Kompetenzvorsprung" skaliert im Gegensatz
zum Ansatz "Informationsvorteil" sehr gut. Sein einziger Nachteil: es
ist ein dynamisches Vorteilskonzept. Ein Vorsprung heute ist keine
Gewähr für den Vorsprung morgen. Dieser Nachteil ist allerdings
zugleich ein Vorteil. Dinosaurier bringen diese Flexibilität nicht
auf. Es gibt eine (für jedes System spezifische) optimale Größe,
jenseits welcher weiteres Wachstum in wachsende Inflexibilität
umschlägt. "Vernünftiges" Wachstum endet nach einer
Initialisierungsphase bei einer systemimmanenten optimalen Korngröße,
so dass sich die "gleiche Augenhöhe" mit einem gewissen Reifegrad des
Systems praktisch von selbst eingestellt hat.

Auf die Softwarebranche heruntergebrochen landen wir bei modernen
komponententechnologischen Ansätzen, dem Verständnis von Software als
Prozess und Eric Raymonds "Basar". Grundlegendes konstituierendes
Element ist eine von den Beteiligten ständig zu reproduzierende
Infrastruktur aus hochwertigen Softwarebausteinen von allgemeinem
Interesse, wie sie heute etwa auf http://SourceForge.org/ verfügbar
ist, und wo es auch keinen Grund gibt, Quellen geheim zu halten. Die
Parallelen zu weiterführenden Ansätzen wie http://www.DesignForge.org/
oder http://www.Open-Craft.org/, welche auf der 3. Oekonux-Konferenz
[10] vorgestellt wurden, sind offensichtlich und einer gesonderten
Betrachtung wert, die einer anderen Publikation vorbehalten bleiben
soll.

Statt dessen möchte ich einige weitere Überlegungen zur Dynamik eines
solchen kooperativen Netzwerks kompetenter Akteure entwickeln. Ich
hatte bereits begründet, dass dieses aus dem Ansatz des
Kompetenzvorteils abgeleitete Modell über verschiedene Korngrößen
perfekt skaliert und damit als Struktur auch auf größere
gesellschaftlichen Zusammenhänge übertragen werden kann. Wie verhält
es sich zum Marktkonzept? In den obigen Ausführungen ist deutlich
geworden, dass sich dieser Abgleich von Kompetenzen und damit
dinglicher Logiken schon immer hinter dem Rücken des Marktes
abgespielt hat. In diesem Sinne ist es kein neues Phänomen. In der
entstehenden Kompetenzinfrastruktur, dieser
Kommunikationsinfrastruktur dinglicher Logiken, kann dieser Abgleich
allerdings viel zuverlässiger erfolgen als je zuvor und "der Markt
wird transparent". Wird er damit obsolet? Nach meinem Verständnis
nein, denn er verliert die Funktion des großen Koordinatensystems (und
hat diese Funktion in den letzten Jahrzehnten schon zunehmend
verloren, wie die zuerst vom IBM-Betriebsratsvorsitzenden Wilfried
Glißmann thematisierte, inzwischen weit verbreitete Devise "Macht, was
ihr wollt, aber seid profitabel" belegt, siehe etwa [1]), nicht aber
die Funktion des Aufwandsabgleichs innerhalb gelingender
"Marktkontakte". Diese Funktion - das zeigen viele Beispiele
umfassender Systeme gelingender Kooperation - wird in der einen oder
anderen Form bleiben. Allerdings wird diese Aufwandsanalyse ihres
entfremdeten Charakters und wohl auch der Geldform entkleidet sein,
denn innerhalb des allgemeinen Kommunikationsprozesses kann man sich
auch über die Formalien der Aufwandsanalyse viel präziser einigen als
dies durch einen Rückzug auf die Geldform als allein selig machendes
Prinzip möglich ist. Diese Aufwandsanalyse bildet das zu sammelnde
Material, um bei Bedarf auch einmal über Gerechtigkeit zu reden und
könnte Teil eines allgemeinen Qualitätssicherungsprozesses sein, in
dem sowieso eine Vielzahl von Metriken eine Rolle spielen und über
welchen sich die dinglichen Logiken individueller menschlicher
Aktivitäten viel genauer sozialisieren ließen als dies mit heute
üblichen Instrumentarien möglich ist.

Es ist generell interessant, die Dynamik solcher kooperativer
Strukturen mit den normativen Argumenten, die ich in [3] mit dem
Übergang von einer Waren- zu einer Wissensgesellschaft verbunden habe,
zu vergleichen. Neben der bereits beschriebenen Tendenz zur optimalen
Korngröße kann man nach der Dynamik von Konkurrenz im
marktwirtschaftlichen Sinne in einer solchen Umgebung fragen.
Konkurrenz setzt voraus, dass zwei "Körner" auf sich überlappenden
Geschäftsfeldern tätig sind, so dass auf natürliche Weise eine
(gesellschaftlich sinnvolle) Verdrängung des weniger effizienten
Akteurs eintritt. Durch die sehr hohe Dimensionalität des Raumes
dinglicher Logiken ist der Effekt dieser Verdrängung aber ein anderer
als der heute zu beobachtende Effekt räumlicher Verdrängung: Der
Verdrängte hat viel mehr Ausweichdimensionen zur Auswahl als in einem
System, welches nur auf die blinde Geldmacht gründet, und kann (und
muss!) sich eine neue, seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechende
"sinnvolle" Tätigkeit suchen und dabei sein Kompetenzprofil
entsprechend weiterentwickeln und schärfen. Nach kurzer Zeit wird es
keine überlappenden Geschäftsfelder mehr geben - und sie werden dann
auch nicht mehr Geschäfts- sondern Kompetenzfelder heißen. Die einer
solchen Struktur inhärenten Austarierungsmechanismen führen also nicht
nur dazu, dass etwa gleich und optimal große "Körner" entstehen,
sondern dass diese auch in der Gesamtheit ihrer Kompetenzen optimal
aufgestellt sind. Dynamik gewinnt diese kompetenzbasierte Struktur vor
allem durch den Eintritt junger Menschen und den Rückzug alter, also
aus der Lebensdynamik der intellektuellen Leistungsfähigkeit der
einzelnen Individuen selbst.

Kommen wir auf den Titel dieses Aufsatzes zurück, der auf Matthias
Käthers Bemerkung am Ende seines Aufsatzes [6] zurückgeht: "Denn, um
noch einmal den klugen Bacon zu zitieren: Wissen ist Macht." Ich
möchte in diesem Sinne zum Abschluss einen Blick auf die heutige
gesellschaftliche Dynamik werfen, um die Chancen beider Ansätze der
"Vorteilsnahme" zu prospektieren und eine Standortbestimmung im Hier
und Heute vorzunehmen.

Der "kluge Satz von Bacon" erlaubt eine gewisse Spannbreite von
Interpretationen, welche ich zunächst verdeutlichen möchte, um die
Gesamtdimension in den Blick zu bekommen. Beim Wort "Macht" etwa gibt
es eine subtile semantische Differenz zwischen dem Englischen und dem
Deutschen: Die nahe liegende Übersetzung ist "power", doch der Gruß
der Sternenkrieger [13], in deutscher Übersetzung "Die Macht sei mit
dir", lautet im Original "may the force be with you", und "force"
wurde hier nicht als "Kraft", sondern als "Macht" übersetzt. Der
Unterschied ist ähnlich wie zwischen potenzieller und kinetischer
Energie. Diese Force-Macht ist gemeint, wenn im Rahmen der
marxistischen Theorie behauptet wird, dass die Produktivkräfte die
Produktionsverhältnisse bestimmen (siehe etwa [8, S. 192 ff.]), und
auch Matthias Käthers Verweis ist wohl nicht anders zu interpretieren.
Christoph Spehr spannt in seinem "Alien-Buch" [12] einen ganzen
Begriffsfächer auf, der über Kraft, Macht (in beiden Bedeutungen) bis
zu Herrschaft und Zivilisation reicht, und den ich den folgenden
Ausführungen als Bezugssystem verwenden möchte. In der heutigen
komplizierten Gemengelage von Kräften und Interessen macht Spehr zwei
große (in seinem Sinne) zivilisatorische Pole aus, die er mit
"Alienismus" und "Maquis" bezeichnet. Diesen beiden Polen kann man
ziemlich genau die oben beschriebenen zwei Arten von Vorteilsnahme
zuordnen, so dass sich aus der hier eingenommenen Perspektive die
Spehrsche Zustandsbeschreibung wie folgt paraphrasieren lässt:
Kompetenz ist eine Gesellschaft strukturierende Macht und steht heute
im Wettstreit und zunehmend im Widerspruch zur Gesellschaft
strukturierenden Macht des Geldes. Geldmacht ist Alienismus, denn sie
ist Definitionsmacht. Sie passt perfekt zum Ansatz
"Informationsvorteil", denn dieser funktioniert nur, wenn man "die
Regeln bestimmen" kann. Kompetenzmacht ist Maquis, denn sie ist
Gestaltungsmacht und zentral konstituierendes Element des
Kompetenzvorteilsmodells ist das "Leben in fairen Regeln".

Die heutige Zeit ist aufgeladen mit den widerstreitenden Perspektiven
dieser beiden Sozialisierungsformen. Die ursprünglich progressive
Regulationsmacht des Marktes (der abstrakten Wertform des Geldes)
versagt immer mehr und gerät zunehmend in Widerspruch zu den
funktionalen Erfordernissen der Wissensgesellschaft (der Reproduktion
der Vielzahl der sich in individuellen Kompetenzen brechenden
dinglichen Logiken). Die alienistische Zivilisation droht, mit ihren
Rückzugsgefechten die gesamte Menschheit mit in den Abgrund zu reißen.
Spehr beschreibt die maquisianische Zivilisation als eine Zivilisation
im Verteidigungszustand, als Zivilisation, die noch nichts ist für
Zivilisten. Das scheint sich derzeit zu ändern. In diesem Sinne: "May
the force be with you."

Referenzen und Fußnoten
=======================

[1]

     Martina Böhm, "Tut, was ihr wollt, aber seid profitabel!",
     Arbeiten ohne Ende - neue Managemantformen verändern die
     Arbeitswelt, In: HBV-Forum 11/1999, siehe
     http://home.nikocity.de/schmengler/presse/arbeit_ohne_ende.htm

[2]

     Wolf Göhring, Mitten in einer Revolution?, Die gesellschaftliche
     Bedeutung der IT als besonderer Produktivkraft,
     FIfF-Kommunikation, März 2004. Siehe
     http://www.ais.fraunhofer.de/~goehring/revolution.pdf

[3]

     Hans-Gert Gräbe, Von der Waren- zur Wissensgesellschaft, Beitrag
     auf der 1. Oekonux-Konferenz "Die freie Gesellschaft erfinden",
     28. - 30.4.2001 Dortmund. Siehe
     http://erste.oekonux-konferenz.de/dokumentation/texte/graebe.html

[4]

     Quelle: heise online 12.12.2000,
     http://www.heise.de/newsticker/meldung/13845

[5]

     Klaus Holzkamp, Individuum und Organisation, Veröffentlicht als
     "Werkstattpapier" in: Probleme kritisch-psychologisch fundierter
     therapeutischer Arbeit, Forum Kritische Psychologie 7 208-225,
     Argument Sonderband 59, Argument-Verlag, 1980, Siehe auch
     http://www.kritische-psychologie.de/texte/kh1980a.html

[6]

     Matthias Käther, Über Marxens Rezeptionsmethode, Utopie kreativ
     162 293-300, 2004

[7]

     Robert Kurz, Der Kollaps der Modernisierung, Reclam Verlag,
     Leipzig, 1994

[8]

     Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, MEW 23, Dietz Verlag,
     Berlin, 1971

[9]

     Quelle: http://www.soros.org/openaccess/g/commitment.shtml

[10]

     Reichtum durch Copyleft - Kreativität im digitalen Zeitalter, 3.
     Oekonux-Konferenz, Wien 20.-23. Mai 2004, siehe
     http://www.oekonux-konferenz.de

[11]

     Eric S. Raymond, The Cathedral and the Bazaar, Musings on Linux
     and Open Source by an Accidental Revolutionary, O'Reilly, 1999,
     Paperback Edition February 2001

[12]

     Christoph Spehr, Die Aliens sind unter uns!, Herrschaft und
     Befreiung im demokratischen Zeitalter, Siedler Taschenbücher
     75548, Goldmann Verlag, München, 1999

[13]

     Star Wars, USA 1976. Regie: George Lucas



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Organization: projekt oekonux.de



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